Die Bodenreform nach dem Zweiten Weltkrieg und die Notwendigkeit für Veränderungen

Neusiederhöfe sind landwirtschaftliche Hofanlagen mit Wohnhaus und Wirtschaftsgebäude, die in den 1950-er Jahren gebaut und bevorzugt an ostvertriebene Landwirte vergeben wurden.

Das dafür notwendige Land kam aus der Bodenreform, bei der große Gutsbetriebe einen Teil des Landes bereit stellen mussten. Das Land wurde auch zur Aufstockung vorhandener Betriebe und für allgemeine Maßnahmen genutzt wie Wegebau etc. 

Träger waren die gemeinnützigen Siedlungsgesellschaften „Rote Erde“ (alt) und „Dt. Bauernsiedlung“ (neu). Die Maßnahmen erfolgten i. d. R. zusammen mit einem einfachen Flurbereinigungsverfahren (Bodenordnung), aber mit wertgleicher Zuteilung und Abfindung usw. Es entstanden:

  • Vollerwerbsstellen
  • Nebenerwerbsstellen
  • Kleinsiedlerstellen

Die Vollerwerbstellen bilden meist kleine Weiler, die Siedlungshäuser mit wenig Land liegen oft am Rand von Orten. Die Kleinsiedlerstellen (bis 0,5 ha bzw. bis 2 ha) waren umfangreicher und lagen in Neubaugebieten.  

Das Ziel war der Aufbau der eigenen Nahrungsmittelversorgung (ein großes Problem bis ca. 1960), eine sozialere Vermögensverteilung und die Integration von über 10 Millionen Ostvertriebenen in die westdeutsche Gesellschaft. Die Integration und Eingliederung von Vertriebenen und Flüchtlingen war eine gewaltige Aufbauleistung und Solidaritätsbekundung für eine friedliche Welt, das muss man im Nachhinein sagen. Natürlich waren die Größe und Ausstattung im Grunde meist nicht ausreichend. - Auf der Habenseite steht allerding auch der enorme Beitrag der Vertriebenen zum Aufbau der Volkswirtschaft und zur sozio-kulturellen Vielfalt - gerade auch im ländlichen Raum!  

 

Neben diesen gesonderten Verfahren gab es zahlreiche ‚normale‘ Aussiedlerhöfe, die behördlich begleitet oder auf eigene Initiative stattfanden. Vor allem in den Kleinstädten mit ihren beengten Hof- und Straßenlagen und der zunehmenden Mobilität gab es eine Aussiedlerwelle, die bis in die Mitte der 1970-er Jahre andauerte. Danach wurden meist nur Ställe und Wirtschaftsgebäude ausgesiedelt. 

 

Eine erste Bilanz und Übersicht der Agrarstruktur-Maßnahmen von 1958 

Eine fundierte Übersicht der Maßnahmen im Kreis Höxter (mit Kreis Warburg) gibt eine Schrift des Ministeriums Ernährung Landwirtschat und Forsten NRW: „Beitrag zur Frühjahrstagung der Agrarsozialen Gesellschaft in Bad Driburg vom 8.-10. Mai 1958“.

Diese Tagung hatte das Ziel, den Stand der Bauprojekte und Maßnahmen zur Verbesserung der Agrarstruktur zu dokumentieren und weiterzuentwickeln. Gerade der Kreis Höxter hatte in dieser Hinsicht viel zu bieten. Die rigide NS-Agrarpolitik hatte letztlich im Zusammenhang mit der Lähmung nach dem Krieg zu einem Rückstand der Agrarstruktur und der Betriebsentwicklung geführt.

Weiterer Punkt der Tagung war der Bau von gemeinschaftlichen Anlagen wie Gefrier- und Waschanlagen auf den Dörfern. 

Die Reiseroute und das Besuchsprogramm der Busrundfahrt sind hier zu sehen.

 

 

 reiseplan 1958    
Busrundfahrt 1958    Maßnahmen Agrarstruktur, Stand 

Programm der Bus-Exkursion 1958 mit 16 Besichtigungspunkten in den Kreisen Höxter, Warburg und Paderborn

  1.  Reelsen
    13 Siedlerstellen, davon 1 Vollerwerb (Ernst Exner, Rusterhof*, 15 ha, erbaut 1957)
  2.  Bad Driburg 
    Zum Hillenwasser: Bihugas-Anlage auf Hof Wilhelm von Menges*. Gewinnung von Biogas aus Faulschlamm und Mist* (vonj ca. 40 Milchkühen). Hinweis: Herr von Menges wohnte in Rheder und war einflussreichen Wirtschaftsmanager (Gute-Hoffnungs-Hütte) in den 1950 Jahren und danach. Als Jäger war er in ganz Europa unterwegs. Den Hof in Driburg wurde von einem Verwalter geführt und später von der Familie von Löw übernommen, die einen Reitbetrieb einrichtet. 
  3.  Brakel
    14 Kleinsiedlerstellen Stadtrand (Bereich Ostdeutsche Straße). 5 Siedlerstellen in der Feldmark Bereich Helle.
  4.  Hainhausen
    Umfangreiches Verfahren für 10 Siedlerstellen, Resthof Gut Hainhausen und Land an Anlieger Bökendorf.
  5.  Erkeln
    Wohnbau, Gefrieranlage, Waschanlage, Kanalisation. Hof Domenikus Hoischen, 95 ha, moderne Betriebsorganisation.
  6.  Rheder
    Landarbeiter-Gruppensiedlung mit 13 Häusern, Bereich Spiegelbreite*  
  7.  Siddessen: neue Agrarstruktur erforderlich. Flurbereinigung. Hof Dregger, Eickfeld Gehrden*, Hallenbauweise für Wirtschaftsgebäude, Spannbeton.  
  8.  Charlottenhof (Gehrden/Auenhausen): Für die Radarstation Auenhausen werden 20 ha gebraucht. Im Verfahren werden 151 ha neu verteilt, davon einen Teil an Siedler, 2 Aussiedler aus Auenhausen folgen.    
  9.  Niesen: Das Gut Niesen wird aufgesiedelt mit 16 Stellen (Haupt- und Nebenerwerb, 12 davon an Ostvertriebene). Dazu Land für Aufstockung vorhandener Betriebe.  
  10. Schweckhausen-Willegassen 
    Schönthal*: Hier geht es um 320 ha zur Neuverteilung. Daraus entstehen 9 Siedlerhöfe (Vollerwerb) und ein Restgut. 5 km Gäben und 12 ha Windschutzhecken gehören zur neuen Agrarstruktur.
  11.  Peckelsheim
    Aussiedlung, Arrondierung Hof Wilmes (47 J., 10 ha) als Beispiel für eine außerbehördliche Aussiedlung
  12.  Löwen
    Anliegersiedlungsverfahren für 10 ha Aufstockung. Aussiedlungen sind dringend notwendig Engar: Deppenhöfen* bei Engar: 300 ha für 10 Neusiedler und Restgut
  13.  Bonenburg
    Hof Schwiddessen
  14.  Borlinghausen
    Erste Flurbereinigung (keine Separation) 1951 mit 51 ha Bodenreform-Land. 3 Landarbeiter-Stellen und Aufstockung für 36 Betriebe. 3 Aussiedlerhöfe.
  15.  Schwaney (Krs. Paderborn)
    Genossenschaftliche und gemeinschaftliche Einrichtungen in einer Bauerngemeinde mit fast 200 Höfen.

 *Anmerkung: Orts- und Namensbezeichnung ergänzt MK

Weitere Anlagen sind entstanden in Steinheim-Eichholz (Land von Wollf-Metternich, Vinsebeck), eine ganz neue Siedlung mit Wirtschaft und Gemeinschaftshaus. Und einige Neusiedlerhöfe auf der Oldenburg (zu Marienmünster) mit Land von Oeynhausen, Grevenburg).      

Bauweise und begleitende Maßnahmen

Neben der allgemeinen Verbesserung der Flächenstruktur und den Wegen werden teils umfangreiche Dränagen durchgeführt, Gräben angelegt, aber auch Windschutzhecken angelegt. Ein systematischer Natur- und Umweltschutz wurde erst in den 1970-er Jahren Bestandteil von Flurbereinigungsverfahren.

Die praktisch uniforme und einfache Bauweise der Höfe mit einfachen Fundamenten und der Verwendung von Hohl-Bimssteinen war ein weiteres Problem, das bald Sanierungen nach sich zog. Auch Stalldecken mussten zeitig ersetzt werden. Vom Ansatz her kosteten die in nur drei Monaten erstellten Höfe etwa 30.000 DM (bis 70.000 DM), finanziert durch die Bodenkreditbank Frankfurt. Die Rückzahlung erfolgte nach einem Hektar-Satz von ca. 35 DM und erstreckte sich über 50 Jahre.

 

Betrachtung aus heutiger Sicht

Angesichts des allgemeinen wirtschaftlichen Wandels war damals schon die Rede von den sich abzeichnenden tiefgreifenden Veränderungen des dörflichen Lebens durch eine neuzeitliche Agrarstruktur. Von einer nachhaltigen Agrarstrukturverbesserung kann aus heutigem Blickwinkel kaum die Rede sein. Denn nüchtern betrachtet war damals bereits abzusehen, dass die Maßnahmen zum Hofbau vielfach nur eine geringe Lebensdauer von wenigen Jahren hatten. Die Spezialisierung der landwirtschaftlichen Betriebe setzte in den 1960-er Jahren ein und nach 15-20 Jahren waren Höfe mit dieser breiten Grund-Ausstattung überholt.

Die Erschließungskosten waren erheblich für den Ausbau der Infrastruktur wie Straßenausbau und Straßenunterhaltung, Stromanschluss, Wasserversorgung und Abwasserentsorgung. Eine Zersiedlung der Landschaft ist eine weitere Folge.  

Aber die groß angelegte Aktion war ein großer Versuch und auch Erfolg gleichzeitig, der im Kreis Höxter deutliche und bleibende Spuren hinterlassen hat. 

 

Literatur

  • Ministerium Ernährung Landwirtschat und Forsten NRW: Beitrag zur Frühjahrstagung der Agrarsozialen Gesellschaft. In Bad Driburg vom 8.-10. Mai 1958. Schreibmaschinen-Manuskript mit einigen Aufrissen von Hofanlagen. 40 S.

Hinweise

Hier geht zum Beitrag Agrarstruktur im Heft Sparkasse 1939 (Jubiläum 100 Jahre)

Hier geht es dem Vortrag beim HMV Brakel von 2016 zur Wandlung der ehemaligen Ackerbürgerstadt um 1950

Hier geht es zum Neusiedler Voss, Eichholz 1952 und hier zur Siedlung Eichholz

 
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