Die folgenden Angaben basieren auf der Magisterarbeit von Thorsten Beine aus Erkeln über die Wirtschaftsgeschichte am Beispiel der Zuckerfabrik Brakel (Münster 2004). Der Zuckerfabrik Brakel wurde 2004 die Ausstellung des Heimat- und Museumsvereins Brakel in der alten Waage gewidmet. Quelle also: Stadtmuseum Brakel, Ausstellung ‚Oh wie Süß‘, Alte Waage, Brakel 2004.
Auf zahlreichen Textblöcken beleuchteten Beine und Dirk Brassel (Stadtmuseum Brakel) mit Team die einzelnen Themen näher. Später sollte ein Heft der Brakeler Schriftenreihe dazu erscheinen, was aber nicht realisiert werden konnte.
Die Fabrik am Standort Brakel
Die für eine Zuckerfabrik notwendigen Standortfaktoren waren in Brakel in idealtypischer Weise vorhanden, schreibt Beine:
- die Nähe zur Nethe garantierte eine ausreichende und kostengünstige Wasserversorgung,
- die Fläche am Güterbahnhof liegt auf einer Terrasse über dem breiten Nethetal (ergänzt: Koch)
- die Bahnlinie Hamm-Leipzig ermöglichte den An- und Abtransport von Rohstoffen und Endprodukten.
Und weiter wird ausgeführt: „Während in der Anfangsphase der Rangierbereich der Rüben- und Kohlewagen mittels Pferdebespannung und einer von Hand betriebenen Drehscheibe geführt wurde, war mit allen anderen Transporten das Sinnbild der Industrialisierung im 19. Jahrhundert bestückt: die Dampfmaschine."
„Eine Fabrik von der Stange“ (Beine)
Die gesamte Industrie-Anlage der Fabrik stammt von der Fürstlich Stolberg‘sche Maschinenfabrik in Magdeburg. Dampfkesselanlage, Gasanstalt und Kalkofenanlage wurden von deren Mitarbeitern aufgebaut und in Gang gesetzt. Weitere Kessel für die Anlagenerweiterung stammen aus der Jacques Piedboeuf‘schen Dampfkesselfabrik zu Aachen.
Anmerkung: Der Maschinenbau um Halle, Magdeburg sowie Breslau profitierte sehr von der neuen Anlagentechnik.Es war bis in die 1970er Jahre üblich, dass die ganzen technischen Anlagen einer Fabrik aus einer Hand kamen. Man kann auch davon ausgehen, dass viele Dinge noch nicht im Detail festgelegt waren, sondern im Kopf der Handwerker und Spezialisten. Heute werden spezielle Maschinenbauteile zusammengesetzt.
„Sämtliche maschinellen Verarbeitungsvorgänge in der Produktion waren dampfbetrieben, vom Wasserhebewerk nahe der Nethe über die Siekessel bis hin zu den Dampfloks, die in der Kampagne im Rüben- und Personentransport ihre Verwendung fanden. Die Eisenbahn erschloss die Provinz und ermöglichte so den Aufstieg neuer Industriezentren. Die Eisenbahn bestritt ca. 80 % der Gütertransporte; seit Mitte der 1880er Jahre ermöglichte sie durch die Arbeiterwochenkarte (1884) und viele Lokalzüge in Industrieregionen das neue Lebensphänomen des Pendelns."
Zur Zuckerherstellung in der Zuckerfabrik Brakel
In Brakel wurden in der dreimonatigen Kampagne die von den überwiegend um Brakel liegenden Ackerflächen geernteten Zuckerrübe verarbeitet.
Der Verarbeitungsprozess wird wie folgt skizziert:
Die Rüben werden im Rübenhaus gelagert. Das ist ein Rübenvorratskeller. Von dort aus werden sie mit Wasserbefördert zur Reinigung und danach in die Schneidemaschine. Im Diffusionsraum, dem Hauptkomplex der Anlage, erfolgt das Auslaugen der Rübenmasse mit heißem Wasser. Im Gährlokal erfolgt das Eindicken und das Reinigen des Dünnsaftes (mittels Kalkmilch aus dem Kalkofen). Im Glühhaus wurde der Dünnsaft schließlich weiter eingedickt, bevor im Siedesaal in Kochapparaten der eigentliche Zucker konzentriert wird. Nach dem Erkalten scheiden sich Zucker und Sirup ab.
Der Kristallzucker wurde vermutlich zunächst im Zuckerhutverfahren gewonnen, ab etwa 1900 dann mit der Zentrifuge und weiteren Schritten zum Raffinadezucker aufbereitet. Dieser wird in Säcken abgefüllt und zu den Verarbeitern und Verbrauchern gebracht.
„Das Geschäft boomt“ (Beine)
1904 wurde zweites Gleis zur Fabrik gelegt. Im Jahr 1905 erfolgt die Elektrifizierung des gesamten Zuckeraufzugsystems.
In der Kampagne 1903/04 werden 67.194 Ztr. (3.360 to) Rohzucker und 664 Ztr. (33 to) Kristallzucker hergestellt. Die Anbaufläche umfasste 3.963 Morgen (991 ha), die vom Vorstand und den Aktionären selbst gestellt wurde. Lediglich 473 Morgen (118 ha) an Rüben wurden zugekauft.
„Brakel stand mit diesen Produktionsziffern unzweifelhaft im oberen Drittel, was den Vergleich mit anderen Zuckerfabriken im Deutschen Reich angeht."
„Das Geschäft stagniert“ (Beine)
„Bis in den Ersten Weltkrieg hinein war die Verarbeitung der Rüben ein sicheres und überaus lohnendes Geschäft. Infolge der rein rechnerisch nicht erfüllbaren Reparationszahlungen nach dem Ersten Weltkrieg wurden in Deutschland ganze Industriezweige ‚verstümmelt‘ und auch die Rübenzucker Industrie ist einem Konzentrationsprozess unterworfen. Nach der Kampagne 1928 wird die Produktion eingestellt und der Betrieb liquidiert. - Die Fabrikgebäude wurden größtenteils abgebrochen, in einem der Rübenhäuser konnte man beispielsweise Reitunterricht nehmen.“
Anmerkung 1:
Ein Grund für das Aus könnte auch die zu geringe Flächenausdehnung von 1,2 ha Betriebsgelände gewesen sein. Warburg, die kleinste Fabrik im Südzuckerbverbund verfügt über 3,5 ha Hof- und 9 ha Gesamtfläche.
Anmerkung 2:
Das Gelände lag wohl einige Jahre brach. Schrott- und Wertstoffhändler wie die Fa. Scheidemann haben Einzelteile v3erkauft und an den Mann gebracht. So finden sich auf manchen Höfen heute noch Werkzeuge und Spaten oder Schippen mit dem Aufdruck Fabrik in Benutzung. Von öfentlichen Gebäuden und alten Schulen ist ebenfalls bekannt, dass dort Gussofenplatten, Kachlen und Einrichtungsgegenstände ein neues Zuhause fanden.
Erst im Jahr 1936 übernahm die Fa. Fritz Becker die "Sperrholzfabrik", die sich aus mehreren Firmen gründete, das ehemelige Betriebsgelände. Ein Bahnanschluss (in den ersten jahrzehnten nützlich) und auch Wasser für das Holzlager waren ja vorhanden.
Die Firma firmiert heute unter "Fa. Fritz Becker GmbH & Co. KG, Formteile aus Holz und Vlies", Am Königsfeld 15, 33034 Brakel.